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Freitag, 10. Mai 2019, 06:54

Gegenkommentar zu dem am 04.05.2019 veröffentlichten Interview/Kommentar zu Nord Stream

Erdgas dient - entgegen der landläufigen Meinung - nicht dem Klimaschutz und ist keine Brücke in eine post-fossile Zukunft. Wenn neben den beim Verbrennen entstehenden CO2-Emissionen auch die bei Förderung und Transport anfallenden Methan-Leckagen berücksichtigt werden, fällt die Klimabilanz von Erdgas teilweise schlechter als die von Kohle aus. Momentan beruhen die Annahmen zu Methanemissionen in Deutschland allerdings auf Eigenberechnungen des Bundesverbandes für Erdgas, Erdöl und Geoenergie e.V. (BVEG, ehemals WEG). Tatsächliche Messungen oder unabhängige Studien zu Methanemissionen aus der Produktion fossiler Energieträger in Deutschland oder Russland existieren bisher nicht. Gemäß den 2013er Zahlen des IPCC ist der Treibhauseffekt von Methanemissionen in den ersten 20 Jahren 84- bis 87-mal stärker und in den ersten 100 Jahren 34- bis 36-mal stärker als der von CO2. Für die Berechnung der CO2-Äquivalente von Methan wird in Deutschland immer noch der veraltete Faktor 25 (100-Jahreswert) aus dem IPCC Bericht 2007 verwendet. Angesichts von Kipppunkten im Klimasystem, die schon in den nächsten 10 bis 20 Jahren zu abrupten und irreversiblen Klimaänderungen für die nächsten 10.000 Jahre führen können, ist es unerlässlich, die aktuellen Zahlen des IPCC für die Erstellung von Klimabilanzen zu verwenden und die extrem schädlichen Klimaeffekte von Methan in den ersten 20 Jahren zu berücksichtigen.

Deutschlands Gasabhängigkeit verhindert die Erreichung der Pariser Klimaschutzziele auf nationaler und EU-Ebene und somit die Eindämmung der Klimaerwärmung. Als viertgrößte Volkswirtschaft mit einem gewaltigen Enerigehunger, können wir uns unserer Verantwortung - auch im Hinblick auf die durch den Klimawandel verursachte Massenmigration - nicht entziehen. Unser Gashunger trägt zum Verschwinden essenzieler Ressoucen wie Trinkwasservorkommen und fruchtbarer Böden bei und schafft direkt und indirekt Massenmigration.

Deutschland ist nicht nur der größte Gasverbraucher mit rund 90 Mrd. M³ in 2017, sondern auch eine Hauptdrehscheibe des Gashandels in Europa. Die Gasimportkapazitäten (54 Mrd. m³ aus Norwegen, 208 Mrd. m³ aus Russland und rund 25 Mrd. m³ aus den Niederlanden) zusammen mit den Gasspeicherkapazitäten in Höhe von 24,6 Mrd. m³ übersteigen Deutschlands Verbrauch um mehr als das dreifache. Zudem verfügt Deutschland laut Bundeswirtschaftsministerium über die größten Erdgasspeicherkapazitäten Europas und die viertgrößten. Mit dem Anschluss von Nord Stream 2 (NS2) würde die Jahresimportkapazität sogar um weitere – nicht benötigte – 55 Mrd. m³ erweitert werden. Gleichzeitig investiert die Bundesregierung in das größte Gegenprojekt von NS2, dem Southern Gas Corridor. Darüber hinaus möchte Deutschland - mit Verweis auf die Abhängigkeit vom russischen Gas - den Aufbau einer Fracking-Flüssigerdgas-Infrastruktur direkt und indirekt mit öffentlichen Mitteln subventionieren.

Die EU-Kommission hat das NS2 Projekt u.a. in dem ausführlichen Analysepapier „Nord Stream 2 – Divide et Impera Again?“ berechtigterweise stark kritisiert:

„Aus einer gemeinschaftlichen EU Perspektive betrachtet, ist Nord Stream 2 ein Projekt, das weder politisch unterstützt wird noch ökonomisch sinnvoll ist. Es würde Milliarden von Euros kosten, die in anderen prioritären Bereichen der Wirtschaft und des Energiesektors ausgegeben werden könnten. Die ökonomische Logik von Nord Stream 2 ignoriert die EU Ziele für Energieeffizienz (die auch den Gasbedarf reduzieren werden); Erneuerbare Energien (Wärme-/Heizungsquellen und Biogas); und Forschung und Innovation (das Potenzial des zukünftigen technologischen Durchbruchs im Bereich der Elektrizitätsspeicherung und/oder Power-to-Gas würden die post-2030 Gasimporte der EU weiter reduzieren).“ [Übersetzung d. Verf.]



Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW) ist eindeutig in seiner Analyse im Hinblick auf den Umstand, dass eine weitere Ostsee-Pipeline überflüssig ist. Das DIW verweist auf folgende Kernpunkte:


Die geplante zweite Ostseepipeline Nord Stream 2 ist zur Sicherung der Erdgasversorgung in Deutschland und Europa nicht notwendig.
Die zur Begründung der Pipeline verwendeten Wirtschaftlichkeitsrechnungen beruhen auf überholten Annahmen zur Entwicklung der Erdgasnachfrage.
Das Angebot an Erdgas ist bereits gut diversifiziert


Erdgas wird zunehmend von der petrochemischen Industrie zur Herstellung von Plastik (vor für Verpackung) und petrochemischen Produkten benutzt - obwohl gleichzeitig feststeht, dass wir ein gewaltiges Umweltproblem mit Plastik haben.

Die Förderung des Ausbaus bzw. des Neubaus von Erdgasinfrastruktur mit einer Lebenszeit von 30-50 Jahren riskiert das Kreieren von Lock-In-Effekten über Zeitpunkt der vollständig benötigten Dekarbonisierung hinaus und generiert „Investitionsruinen“ mit der möglichen Folge einer neuen Finanzkrise. Der Ausbau von zusätzlichen Infrastrukturen für Erdgas (wie z.B. Pipelines oder LNG-Terminals) und der Gebrauch von Erdgas als Rohstoff für die petrochemische Industrie muss verhindert werden, um das Entstehen von Lock-In-Effekten bei der Nutzung fossiler Energieträger zu vermeiden.

All diese Dinge müsste der "Energieexperte" der SPD eigentlich wissen. Ja, Verträge sind einzuhalten. Es gibt aber - notwendigerweise - momentan nur ein Vertrag der prioritär ist, nämlich das Pariser Abkommen. Alle Verträge und Maßnahmen, die - bewusst oder unbewusst - die Umsetzung dieses Vertrages und die Klimaschutzziele torpedieren, sind als nichtig zu betrachten. Dies gilt auch für die Nord Stream 2-Verträge, die zudem unnötige geopolitische Spannungen verursachen.
Abschließend verweise ich darauf, dass es Herrn Timon Gremmels bislang nicht möglich war, die einfache Frage zu beantworten, warum er - simultan zur Unterstützung der russischen Nord Stream 2 Pipeline - keine Probleme mit der direkten und indirekten Förderung von ebenfalls klimafeindlichen US Fracking-Gas-LNG-Terminals hat (https://www.abgeordnetenwatch.de/profile…18-11-08/306380). Die sollen ja laut Bundesregierung benötigt werden, um die Abhängigkeit vom russischen Gas zu verringern - während diesselbe Bundesregierung die Abhängikeit vom russischen Gas durch Nord Stream 2 vorantreibt.



Quellen:

IPCC 2013, Chapter 8, Anthropogenic and Natural Radiative Forcing Link: https://www.ipcc.ch/pdf/assessment-repor…ter08_FINAL.pdf

Prof. Robert Howarth, Cornell University, NY "Methan Emissionen der Treibhausgas-Fußabdruck von Erdgas" http://www.eeb.cornell.edu/howarth/summaries_CH4_2016_De.php

IASS Potsdam "Die ungewissen Klimakosten von Erdgas: Bewertung der Unstimmigkeiten in den Daten zu Methanlecks in Europa, Russland und den USA und deren Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit" https://www.iass-potsdam.de/sites/defaul…sten_erdgas.pdf

Prof. Kevin Anderson (Tyndall University, Manchester) & Dr. John Broderick (Uppsalla University) "Natural Gas and Climate Change" https://www.research.manchester.ac.uk/po…c4ab83605).html

European Political Strategy Centre. „Nord Stream 2 – Divide et Impera Again? Avoiding a Zero-Sum Game“. EU Commission. Link: https://ec.europa.eu/epsc/sites/epsc/fil…mpera_again.pdf

Anne Neumann, Leonard Göke, Franziska Holz, Claudia Kemfert und Christian von Hirschhausen. „Erdgasversorgung: Weitere Ostsee-Pipeline ist überflüssig“. DIW Wochenbericht 27/2018. Link: https://www.diw.de/documents/publikation….de/18-27-1.pdf


Andy Gheorghiu