Betreff: Teile der Grünen Partei wollen das 100% Erneuerbare-Energien-Ziel massiv abschwächen
Datum: Fri, 6 Nov 2015 18:01:39 +0100
Von: Hans-Josef Fell <
info@hans-josef-fell.de>
Antwort an: Hans-Josef Fell <
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Sehr geehrte Leserinnen und Leser!
Teile der Grünen Partei wollen das 100% Erneuerbare-Energien-Ziel massiv
abschwächen
Auf der kommenden Bundesdelegierten-Konferenz von Bündnis 90/Die Grünen
bahnt sich ein Machtkampf an zwischen den ökologischen Bremsern auf der
einen Seite und den Befürwortern einer schnellen Transformation des
Energiesystems auf 100% Erneuerbare Energien auf der anderen. 2007 hatte
ich auf dem Parteitag der Grünen gegen viele Widerstände aus der Berliner
Grünen-Spitze, aber mit großer Unterstützung der Basis einen Antrag
durchgebracht, wonach sich die Grünen klar zu einem schnellen Ausbau der
Erneuerbaren Energien bekennen. Bis 2030 strebten seitdem die Grünen im
Stromsektor und bis 2040 auch in allen andern Energiesektoren in
Deutschland und der EU eine 100%-ige Vollversorgung mit Erneuerbaren
Energien an.
Viele Grünen Akteure waren vor allem an der kommunalen Basis treibende
Kräfte dafür, dass insbesondere im Stromsektor dieses Ziel in erreichbare
Nähe gerückt ist. So konnte der Anteil des Ökostromes in Deutschland
dank EEG von 12% im Jahre 2006 auf 32% Mitte 2015 gesteigert werden. Mit der
Fortschreibung dieser exponentiellen Wachstumskurve ergäben sich
tatsächlich ca. 100% Ökostrom bis 2030. Ein entscheidender Beitrag nicht
nur für
den Atomausstieg, sondern vor allem auch für einen Klimaschutz, der die
CO2-Emissionen nicht nur um die angestrebten 40% reduziert, sondern im
Stromsektor sogar völlig beenden würde.
Doch in den letzten Jahren gab es auch in der Grünen Partei nicht nur
Freunde des schnellen Ausbaus der Erneuerbaren Energien. Insbesondere die
treibende Kraft – die bürgerliche Energiewende – wurde mit immer mehr
Maßnahmen der Bundesregierungen von Merkel/Rösler und Merkel/Gabriel
massiv unter Druck gesetzt. Entscheidende Verschlechterungen der
Förderbedingungen wurden zum Teil auch von grünen Entscheidungsträgern
mitgetragen, vielfach gegen den Protest vieler grüner Parteimitglieder.
Insbesondere die Erhebung der EEG-Umlage auf die Ökostromerzeugung wurde
ursprünglich von dem erst 2012 gegründeten neuen Wissenschaftsinstitut
Agora Energiewende und seinem damaligen Chef Rainer Baake, ehemals
Staatssekretär bei Jürgen Trittin und grünes Parteimitglied,
vorgeschlagen. Interessant ist, dass Agora von Anfang an das Ausbremsen
der starken
Ausbaudynamik der Erneuerbaren Energien zum Ziel hatte. Als Prämisse für
die Energiewende-Arbeit gibt sie an: "Wir arbeiten auf der Basis der
gesetzlich formulierten Energiewende-Ziele: Ausstieg aus der Kernenergie
bis zum Jahr 2022 und Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien an der
Stromversorgung auf mindestens 80 Prozent bis spätestens zum Jahr 2050."
Damit ist von Anfang an klar, dass die Agora offensichtlich die Ziele der
Bundesregierung zum Ausbremsen der Erneuerbaren Energien
wissenschaftlich begleitet.
Einige grüne Länderminister haben verschiedene Agora Vorschläge zur
Verschlechterung der Ausbaudynamik befürwortet und unterstützt, insbesondere
die EEG-Umlageerhebung auf den Ökostrom, die mehr und mehr der
Bürgerenergie das Genick bricht.
Als zuständiger Staatssekretär bei Energieminister Gabriel hat nun mit
Rainer Baake ausgerechnet ein grünes Parteimitglied diesen schweren Schlag
gegen die Ökostromeigenerzeugung mit zu verantworten. Auch die viel zu
schwachen Ausbauziele insbesondere für Solar, Bioenergie, Wasserkraft und
Erdwärme wurden unter der Federführung des Staatsekretärs Baake im EEG
2014 verankert. Schlimmer noch: Der Systemwechsel von der erfolgreichen
Einspeisevergütung hin zu völlig untauglichen Ausschreibungen, die nur
den Ausbau der Erneuerbaren Energien verteuern, verlangsamen und endgültig
in die Hände der Stromkonzerne statt der Bürger legt, wird ausgerechnet
von einem grünen Staatssekretär in einer schwarz- roten Koalition in
Berlin organisiert.
Es ist schon sehr verwunderlich, dass es keine Diskussion, keine
Proteste darüber bei Bündnis 90/Die Grünen gibt, dass ausgerechnet ein
Parteimitglied den größten politischen Erfolg der Grünen, das EEG und
den Ausbau der Erneuerbaren Energien unter rot-grün, torpediert.
Dabei sind die Wirkungen schon jetzt verheerend: Die Dynamik der
Neugründungen von Bürgerenergiegemeinschaften ist längst eingebrochen.
Der Ausbau
bei der Solarenergie dümpelt auf niedrigem Niveau dahin, der Ausbau bei
Bioenergien, Wasserkraft und Erdwärme ist fast völlig zum Erliegen
gekommen. Verlust von über 70 000 Arbeitsplätzen, hunderte von
Insolvenzen vor allem von kleinen und mittleren Unternehmen und den fast
völligen
Verlust der Solarindustrieproduktion in Deutschland hat diese Politik
seit der Regierung Merkel/Rösler schon gefordert. Mit dem Umsetzen der
Ausschreibungen bei der Windkraft droht nun das Gleiche in der
Windbranche. Jeder weiß es, doch diese Bundesregierung setzt
ausgerechnet mit einem
zuständigen grünen Staatssekretär die weiteren Verschlechterungen der
politischen Rahmenbedingungen für Erneuerbare Energien erbarmungslos durch.
Nun wurde also durch massive politische Verschlechterungen der Ausbau
der Erneuerbaren Energien stark ausgebremst. Der Bundesvorstand der Grünen
strebt dennoch weiterhin mit seinem Leitantrag „ÄNDERN WIR DIE POLITIK,
NICHT DAS KLIMA!" auf dem kommenden Parteitag das Ziel der 100%igen
Vollversorgung mit Ökostrom bis 2030 an. Eine völlig richtige Strategie,
denn auch in den nächsten Jahren kann viel politisch Positives für die
Erneuerbaren Energien beschlossen werden und zunehmend bekommen die
Erneuerbaren Energien in weiten Teilen der Welt Aufwind, schlicht weil sie
inzwischen die günstigste Art der Stromerzeugung sind und sowieso zur
Lösung der sich verschärfenden Probleme der Erderwärmung unverzichtbar sind.
Doch auf dem nächsten Bundesparteitag gibt es einen Änderungsantrag
GW-KS-02-210 von Robert Habeck und einer Gruppe führender, Verantwortung
tragender Parteimitglieder, das Ziel 100% Erneuerbare Energien auf 2050
zu verschieben. Nicht anders kann die dort vorgelegte Formulierung
interpretiert werden: „Nur so schaffen wir es, bis Mitte dieses
Jahrhunderts Deutschland weitgehend CO2-neutral zu entwickeln und binnen
zwei
Jahrzehnten aus der Kohle auszusteigen.“
Unglaublich, diese Gruppe führender grüner Spitzenpolitiker will also
weniger, statt mehr Klimaschutz. Sie wollen CO2 emittierende Kohle- und
Erdgaskraftwerke länger als nötig am Netz halten. Sie wollen
offensichtlich die Umstellung auf die Bürgerenergien verlangsamen, damit
die Konzerne
länger im Geschäft mit Kohle- und Erdgaskraftwerken bleiben.
Begründet wird dies vor allem mit der mutlosen Behauptung, die
Umstellung scheine nicht mehr bis 2030 zu schaffen. Diese Mutlosigkeit
hat auch bei
den Grünen eine lange Tradition, so hatte der grüne Umweltminister
Jürgen Trittin unter rot-grün das Ziel von 20 % Ökostrom bis 2020
ausgerufen.
Ich hatte in Diskussionen mit ihm dieses Ziel immer als zu schwach
kritisiert. Heute 2015, also fünf Jahre früher, stehen wir schon bei
32%. Statt
Kraft und Mut aus diesem riesigen grünen Erfolg zu ziehen, halten es
viele mit der Kanzlerin, die auf dem Jahrestag 2015 des Bundesverbands
Erneuerbare Energien (BEE) sinngemäß sagte, dass sie sich auch gewundert
habe, wie schnell der Ausbau der Erneuerbaren Energien möglich war –
aber in Zukunft könne das nicht mehr so gehen.
Wenn dieser Änderungsantrag tatsächlich eine Mehrheit bekommen sollte,
dann verabschieden sich Bündnis 90/Die Grünen vom Selbstverständnis einer
offensiven fortschrittlichen ökologischen Partei. Sie würden
zurückfallen in das ökologische Mittelmaß, wenig unterscheidbar von anderen
Parteien, die zwar angeblich alle Erneuerbare Energien wollen, aber
dennoch alles tun, um deren Ausbau zu verlangsamen – genauso wie es einige
grüne Spitzenpolitiker in ihrem Verantwortungsbereich bereits getan
haben. Genau in dieses ökologische Mittelmaß würde die Grüne Partei
zurückfallen. Und den durch Staatssekretär Baake und manche anderen
grünen Spitzenpolitiker längst angekratzten Ruf einer ökologischen
Vorreiterpartei würde Bündnis 90/Die Grünen vollends verlieren.
Denn die Umstellung auf Erneuerbare Energien ist das Kernelement einer
ökologischen Politik.
Windräder, Solaranlagen, Wasserkraft, Erdwärmekraftwerke haben keinen
Schornstein und Auspuff, aus denen Luft und Wasser verschmutzt werden
können.
Sie emittieren kein CO2 und sind so der beste Umweltschutz. Um ihre
Primärenergie (außer Wasser) kann man keine Kriege führen, sie können also
Ölkriege ersticken, vielen kriegsführenden Parteien die Öleinnahmen zur
Kriegsfinanzierung wegnehmen und die Klimaerwärmung als Ursache für
große Wanderbewegungen von Klimaflüchtlingen beseitigen. Warum also die
Umstellung auf Erneuerbare Energien verlangsamen? Der Ausbau der
Erneuerbaren Energien gehört beschleunigt und genau das muss die
Programmatik einer grünen Partei sein, ansonsten verliert sie ihre
Glaubwürdigkeit.
Die Parteiführung von Bündnis 90/Die Grünen braucht nun alle
Unterstützung von der grünen Basis, um den Frontalangriff dieses
Antrages auf die
Grüne Führerschaft im Parteiensektor als Ökopartei abzuwehren und um
einen weiteren Wählerverlust der hundertaussende Akteure der
Bürgerenergiewende zu vermeiden. Sie alle kämpfen um eine schnelle
Energietransformation vor Ort und würden nie verstehen, warum
ausgerechnet nun
sogar Bündnis 90/Die Grünen die Programmatik hin zu einer Verlangsamung
des Umbaus der Energieversorgung befürwortet.
Berlin, den 06. November 2015
Ihr Hans-Josef Fell
Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG 2000
fell@hans-josef-fell.de
www.hans-josef-fell.de
Bei mir werden Erneuerbare Energien groß geschrieben!
Nachtrag:
Zu dem Versuch des SH Umweltminister Habeck (Grüne) eine Verzögerung der Energiewende
salonfähig zu machen gibt es jetzt einen Änderungsantrag:
<
https://bdk.antragsgruen.de/39/motion/133/amendment/260>
Es Lohnt auch, den ganzen Antrag zu lesen. dort stehen viele gute Gedanken drin.
Die Forderung eines Fracking Verbots fehlt jedoch. Und wenn Grüne in Landesregierungen CETA im Bundesrat passieren lassen,
bleibt das Schwärmen von einer umweltverträglicheren Landwirtschaft eine Wählertäuschung:
https://bdk.antragsgruen.de/39/motion/133