Barbara Vollhard schreibt:
Das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada könnte nach SPIEGEL-Informationen an den nationalen Parlamenten vorbei beschlossen werden. Genau das wollte die Bundesregierung bisher verhindern.
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta), das kurz vor der Abstimmung steht, könnte nach Informationen des SPIEGEL nun doch ohne Beteiligung der Mitgliedstaaten abgeschlossen werden - entgegen der jahrelangen Versicherungen der Bundesregierung.
Bislang waren sich die EU-Länder einig, dass Ceta als sogenanntes gemischtes Abkommen gelten und in jedem nationalen Parlament ratifiziert werden soll. Doch nun bröckelt die Einheit.
In einem Brief an die EU-Kommission hat der italienische Wirtschaftsminister Carlo Calenda die Bereitschaft Italiens erklärt, sich auf die Seite der Kommission zu schlagen. Die setzt sich für Ceta als "EU-only"-Abkommen ein, was bedeutet, dass nur das EU-Parlament zustimmen muss, nicht aber die einzelnen Mitgliedstaaten.
Mehrere Staaten drängen auf schnelle Anwendung
Der Seitenwechsel Italiens nimmt den Handelsministern ihre schärfste Waffe. Sie können einen Kommissionsvorschlag ablehnen und ihren eigenen durchsetzen - aber dies kann nur einstimmig geschehen. Verweigert Italien den Schulterschluss, bleibt das Kommissionsvorhaben auf dem Tisch. Erhält sie dafür keine qualifizierte Mehrheit, gibt es keinen Beschluss und kein Freihandelsabkommen.
Doch da die meisten Mitglieder das Abkommen wollen und acht Länder sogar auf eine möglichst schnelle Anwendung drängen, könnte die Kommission ihre Chance suchen, um das Abkommen ohne Beteiligung der Länderparlamente durchzusetzen.
Der bereits ausverhandelte Vertrag mit Kanada soll im Oktober unterzeichnet werden. Ceta gilt als Blaupause für den TTIP-Vertrag mit den USA, der vor allem in Teilen der deutschen und österreichischen Bevölkerung auf Widerstand stößt. Ob TTIP als gemischtes Abkommen gewertet wird und damit die Zustimmung der nationalen Parlamente nötig wäre, ist noch offen. Das von Sigmar Gabriel geführte Bundeswirtschaftsministerium hatte Ceta zuletzt ausdrücklich als gemischtes Abkommen bewertet.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte die Bundesregierung auf, einzugreifen: "Es kann nicht sein, dass ein Abkommen mit massiven Auswirkungen auf das Leben von rund einer halben Milliarde Menschen alleine in Europa, an diesen Menschen vorbei beschlossen wird", sagte ein Sprecher.